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Archiv Wandermarkt

Traditionswandern


Das bis vor kurzem gängige Bild des Wanderns entstand vor mehr oder weniger einem Jahrhundert mit der Gründung bürgerlicher Wandervereine, der jugendrevolutionären Ideologie des "Wandervogels" und der deutschlandweiten Schaffung markierter Wanderwege. Seither wenig verändert, bekam das ausdauernde Gehen allmählich den Ruf eines Seniorenhobbys.

In den Medien trat es bis Ende letzten Jahrhunderts zunehmend am Rande in Erscheinung, gespickt mit rückwärtsgewandten Symbolen wie rotkarierten Hemden und grauen Filzhüten. Dementsprechend schien auch die Zahl engagierter Wanderer zu schrumpfen, die Wandervereine als Hüter der Tradiion verloren jährlich ein bis zwei Prozent ihrer Mitglieder. Die Zukunft fand woanders statt, abgesehen vom Beruf vorzugsweise in der Konsum- und Cyberwelt. Wer den durchelektronisierten Alltag nicht auch noch mit in die Freizeit nehmen wollte, musste seinen Ausgleich woanders suchen.

Die Entdeckung des "Neuen Wandergastes"


Dass damit eine Wiederbelebung des Wanderns einherging, wurde zunächst kaum wahrgenommen. Es waren um Gäste ringende westdeutsche Mittelgebirgstouristiker, denen als ersten auffiel, dass der "typische Wanderer" unter der Hand ein anderer geworden war: weniger sportlich, aber gebildeter, genießerischer, ausgabenfreudiger und vor dem Hintergrund der Ökologiedebatte nicht zuletzt auch natursensibler - also ein gastronomisch durchaus attraktiver Gast.

Um ihn zu gewinnen,musste man ihn allerdings als Kunden ernstnehmen und bei seinen modernen Lebensgewohnheiten und veränderten Bedürfnissen abholen. Dementsprechend legte das in dieser Zeit entstandene "Deutsche Wanderinstitut" mit den "Profilstudien Wandern" aktuelle Marktstudien für dieses Freizeitsegment vor. Das Thema in Powerpoint-Kurzfassung: Das erwies sich angesichts jährlicher Aktivitätsquoten von über 50% der Deutschen und Umsätzen in Milliardenhöhe nicht nur als unerwartet lohnend, sondern ließ auch erstmals wieder Neuinvestitionen attraktiv erscheinenn. In Anlehnung an den "Rennsteig", der Traditionswandermarke im Osten
reagierten als erste die Touristiker des Rothaargebirges, eines ebenfalls fast vergessenen, aber passgenau auf die Bedürfnisse des "Neuen Wandergastes" zugeschnittenen Höhenzuges nahe der Metropolregion "Rhein/Ruhr" auf die neuen Erkenntnisse. Mit dem "Rothaarsteig" eine moderne Konkurrenz, der nicht nur bei der Streckenwahl und Entwicklung einer wanderfreundlichen Infrastruktur, sondern auch bei Management und Vermarktung des Weges neue Maßstäbe setzte.

Der von Beginn an massenhafte Zuspruch des Wanderpublikums inspirierte unter der Dachmarke "Premiumweg" eine geradezu sprunghafte Welle von Nachahmerprodukten vorzugsweise in Westdeutschland ("Rheinsteig", "Eifelsteig", "Saar-Hunsrück-Steig", "Hochrhöner"). Die zunächst eher skeptischen Vorstände der klassischen Wandervereine konnten sich dem Erneuerungsdruck auf Dauer nicht entziehen und gaben beim "Deutschen Wanderinstitut" die Entwicklung einer eigenen, deutlich abgeschwächten Reformkonzeption in Auftrag ("Qualitätsweg Wanderbares Deutschland"). Diese wurde allerdings der Öffentlichkeit faktisch vorenthalten, indem sie verspätet nur als "Langfassung" mit eigenwilligen Veränderungen und in geringer Auflage Verbreitung fand:


Zum Teil gelang es dem Wanderverband sogar, in mehreren Bundesländern die Einführung von "Premiumwegen" zugunsten von "Qualitätswegen" gänzlich zu verhindern. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten hierbei staatliche Fördermittel, die vorrangig dem Wanderverband zugutekamen. Gleichwohl gebührt dem Rothaarsteig das Verdienst, den eigentlichen Anstoß für den wandertouristischen Erneuerungsprozess gegeben und das Konzept bis zum heutigen Tag auch in der Praxis erfolgreich fortentwickelt zu haben.

Weiterführende Links:
„Deutsches Wanderinstitut e.V.“
https://www.wanderinstitut.de/premiumwege/
„Profilstudien Wandern“:
https://www.wanderforschung.de/WF/wanderstudien/wanderstudien.html


Demoskopische Varianten und Widersprüche


Offenkundig nicht zufällig wiesen in der unmittelbaren Folge des Rothaarsteig-Experiments die Freizeitstatistiken des Instituts für Demoskopie Allensbach für die Nuller Jahre einen ausgesprochenen Wanderboom aus. In konkurrierenden Markterhebungen wie etwa denen von ARD und ZDF (VuMA)spiegelte er sich nicht in diesem Maße. Lediglich die Gastgeber an Premiumwegen profitieren bis heute von dem damit verbundenen, mit dauerhaften Investitionen gesicherten Dachmarkeneffekt.